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Kein Grund zum Jubeln!

Selbstbestimmung der Frau, Abtreibung, Feminismus

Werbeverbot für Abtreibungen aufgehoben

Was für eine Ironie: Nur wenige Stunden, nachdem sich der Bundestag am 24.06.2022 endlich dazu durchringen konnte, § 219a des Strafgesetzbuches und damit das Informationsverbot für Schwangerschaftsabbrüche abzuschaffen, hat der Supreme Court  in den USA eine folgenschwere Entscheidung getroffen: Das fast 50 Jahre alte Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“, wonach Abtreibungen bis zur eigenständigen Lebensfähigkeit eines Fötus, also etwa bis zur 24. Schwangerschaftswoche, zulässig waren, wurde revidiert. Nach Ansicht des Gerichts falle eine Abtreibung nicht in den Bereich des verfassungsmäßigen Rechts auf persönliche Freiheit. Dies hat zur Folge, dass die US-Bundesstaaten das Recht auf Abtreibungen ab sofort erheblich einschränken dürfen. Fast die Hälfte von ihnen hat bereits Vorbereitungen getroffen, um Schwangerschaftsabbrüche in Zukunft zu erschweren oder gar komplett zu verbieten.

Einmal mehr wird dadurch deutlich, dass der Kampf um körperliche Selbstbestimmung immer wieder aufs Neue geführt werden muss. Oder um es mit Simone de Beauvoir zu sagen: „Vergiss nie, dass es nur eine politische, wirtschaftliche oder religiöse Krise braucht, damit die Rechte der Frauen in Gefahr gebracht werden. Diese Rechte sind niemals als selbstverständlich zu betrachten, du musst dein Leben lang wachsam bleiben.” Dieser Appell erscheint heute wieder dringlicher denn je – und zwar nicht nur für Frauen in den USA oder anderen Ländern dieser Welt, sondern auch hierzulande. Denn bei aller Freude über die Abschaffung von § 219a StGB darf nicht vergessen werden, dass die Aufhebung des Werbeverbots für Abtreibungen nur ein erster Schritt sein kann auf dem Weg zu einer dringend notwendigen Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen.

Rechtslage in Deutschland
§ 218 StGB ist bereits seit 1871 fester Bestandteil des Strafgesetzbuches. Zwar droht einer Schwangeren, die „vorsätzlich abtreibt“, heute – im Gegensatz zum Kaiserreich – kein fünfjähriger Zuchthausaufenthalt mehr (sondern „lediglich“ eine dreijährige Haftstrafe oder eine Geldstrafe), doch noch immer steht § 218 im Strafgesetzbuch gleich hinter Mord und Totschlag und noch immer gibt es eine vom Bundesverfassungsgericht statuierte „grundsätzliche Rechtspflicht, (…) das Kind auszutragen“, die im Zweifel mithilfe des Strafrechts durchgesetzt werden soll. Nur unter bestimmten Voraussetzungen wie dem Einhalten einer dreitägigen Bedenkzeit im Anschluss an eine zwingend erforderliche Beratung ist der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen straffrei.

§ 219a StGB wurde 1933 eingeführt. Seitdem stellt er die Bereitstellung von Informationen über Abtreibungen, deren Kosten und die Art und Weise der Durchführung unter Strafe. Begründet wurde dies seitens des Gesetzgebers damit, Schwangerschaftsabbrüche sollten nicht kommerzialisiert und damit nicht zur Normalität werden. Dies klingt womöglich auf den ersten Blick verständlich, doch ist die Norm schon deshalb überflüssig, weil § 27 der Berufsordnung für Ärzt:innen ohnehin jede dem ärztlichen Selbstverständnis zuwiderlaufende Kommerzialisierung verbietet. Das Argument, eine Normalität von Abtreibungen vermeiden zu wollen, ist dagegen völlig absurd, weil Schwangerschaftsabbrüche zu jeder Zeit normal waren und zwar normal im Sinne von: Teil der Wahlmöglichkeiten einer Frau, zum Leben gehörend, relevant, unter bestimmten Umständen unumgänglich.

Ausgangspunkt für die Streichung des § 219a StGB
Ironischerweise haben in erster Linie Abtreibungsgegner:innen die Diskussion um § 219a StGB ausgelöst – durch zahlreiche Strafanzeigen gegen Gynäkolog:innen, die auf ihren Homepages darüber informiert hatten, Abtreibungen durchzuführen. Unter anderem die Gießener Frauenärztin Kristina Hänel wurde daraufhin zu einer Geldstrafe verurteilt, doch statt die Entscheidung des Gerichts hinzunehmen und Schwangerschaftsabbrüche weiterhin im Stillen durchzuführen, wandte sie sich an die Medien. Dadurch rückte erstmals auch die Kriminalisierung all jener, die rechtmäßig Abtreibungen durchführten, in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Politik und Gesellschaft mussten sich die Frage stellen, wie ein Gesetz gerechtfertigt werden kann, welches es Ärzt:innen verbietet, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren wie über andere medizinische Eingriffe auch.

Die längst überfällige gesellschaftliche Debatte wurde noch weiter befeuert, indem Ärzt:innen über ihre Erfahrungen mit Abtreibungsgegner:innen berichteten, die unter dem Deckmantel von Religion und dem Schutz ungeborenen Lebens ihre misogynen Hasstiraden losließen und schwangere Frauen vor den Praxen belästigten und dämonisierten. Darüber hinaus berichteten schwangere Frauen, dass sie nur mit immensem Aufwand Ärzt:innen für einen Abbruch finden konnten.

Kristina Hänel zog schließlich mit ihrem Fall durch die Instanzen. Ihre Verfassungsbeschwerde und die weiterer Ärz­tin­nen sind derzeit beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Nun ist die Politik einer Entscheidung des Gerichts zuvorgekommen. 

Ob sie ihre Verfassungsbeschwerde zurücknehmen wird, hat Kristina Hänel bislang offengelassen, auch ist unklar, ob seitens der Union und der AfD, welche sich beide gegen eine Streichung von § 219a StGB ausgesprochen hatten, eine verfassungsgerichtliche Überprüfung der Entscheidung angestrebt wird. Doch selbst für den Fall, dass § 219a StGB nun ein für alle Mal Geschichte sein sollte, ist das Ende dieser Vorschrift nur ein winzig kleiner Schritt auf dem Weg zum eigentlichen Ziel: Schwangerschaftsabbrüche müssen auch hierzulande selbstverständlicher Bestandteil der Gesundheitsversorgung werden. Denn bevor Abtreibungen nicht endlich legalisiert werden, wird sich auch die Versorgungssituation nicht bessern, werden sich Ärzt:innen weiterhin in hohem Maße weigern, Abbrüche durchzuführen, werden Frauen noch immer aufgrund einer durchgeführten Abtreibung stigmatisiert und kriminalisiert werden.

Aktuell nimmt nur ein Bruchteil der niedergelassenen Ärzt:innen Schwangerschaftsabbrüche vor, zahlreiche Krankenhäuser führen den Eingriff lediglich in medizinischen Notfällen durch. Letzteres gilt im Übrigen nicht nur für solche mit kirchlicher Trägerschaft, sondern auch für staatliche Kliniken. Es ist offenkundig, dass dadurch das Recht auf Gesundheit in massivster Weise missachtet wird. Teilweise müssen Schwangere sogar in andere Bundesländer oder gar ins Ausland fahren, um Abbrüche durchführen zu lassen. Insbesondere für Frauen aus niedrigen sozialen Schichten, für solche in prekären Arbeitsverhältnissen und für solche, die keine soziale Unterstützung erhalten, ist dies im schlimmsten Falle finanziell nicht zu leisten. Schließlich müssen auch die Kosten der Abtreibung von der Frau selbst übernommen werden.

Trotz all dieser Missstände feiert sich die Politik hierzulande nun dafür, ein vollkommen absurdes und überholtes Gesetz nach fünfjährigem Ringen – und angesichts einer drohenden Bloßstellung durch das Bundesverfassungsgericht – abgeschafft zu haben. Laut Koalitionsvertrag soll in Zukunft immerhin noch die Kostenfreiheit von Abtreibungen erreicht werden. Auch gegen die sogenannte Gehsteigbelästigung soll künftig rigoroser vorgegangen werden, also gegen Abtreibungsgegner:innen, die Beschäftigte und Schwangere vor Arztpraxen und Beratungsstellen belästigen und einschüchtern.

Ausblick
In einem der wichtigsten Punkte sind sich die Regierungsparteien aber keineswegs einig, nämlich bei der Frage nach der Streichung von § 218 StGB. So ist im Koalitionsvertrag lediglich die Rede von einer Kommission, die Möglichkeiten der Regulierung außerhalb des Strafrechts „prüfen“ soll.

Bereits der Wortlaut macht deutlich, dass der Bundesregierung für die wirklich wichtigen Schritte der Mut (oder der Wille?) fehlt. Dafür steht die Selbstbestimmung der Frau leider noch immer zu weit unten auf der Prioritätenliste. Und dies, obwohl auch auf internationaler Ebene seit Jahren gefordert wird, reproduktive Rechte zu respektieren und zu verwirklichen. Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW: Committee on the Elimination of Discrimination against Women) hat Deutschland aufgefordert, die Pflichtberatung und die Wartefrist abzuschaffen und den Schwangerschaftsabbruch als Krankenkassenleistung anzuerkennen. Bislang leider ohne Erfolg. Trotz der enormen Belastungen, die eine Kriminalisierung von Abbrüchen für ungewollt Schwangere mit sich bringt, halten deutsche Politiker:innen noch immer daran fest – obwohl sämtliche Argumente für eine Legalisierung sprechen.

Welch dramatische Auswirkungen restriktive Abtreibungsgesetze für schwangere Frauen haben, zeigt sich aktuell leider besonders deutlich an den Geflüchteten aus der Ukraine, die zu großen Teilen in Polen, unter anderem aber auch in Ungarn oder der Slowakei Schutz suchen, also den europäischen Ländern mit den europaweit restriktivsten Abtreibungsregeln. Die dortigen Vorschriften, welche Abtreibungen fast ausnahmslos verbieten, gelten auch für ukrainische Geflüchtete, im Zweifel selbst für solche, die sexuelle Gewalt erlitten haben.  

Polen hat seine Abtreibungsgesetze im Jahr 2021 noch einmal deutlich verschärft und dies unter anderem mit dem Hinweis auf die hohe Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen in den Niederlanden begründet – einem der europäischen Länder, die seit Jahren eine liberale Abtreibungspolitik betreiben. Allerdings ist die Argumentation der reaktionären Kräfte in Polen sowie der dortigen (und hiesigen) Abtreibungsgegner:innen schlichtweg eine Lüge, denn die Niederlande gehören seit Jahren zu den Ländern mit den wenigsten Abtreibungen weltweit – und dies nicht trotz, sondern gerade wegen der liberalen Abtreibungsgesetzgebung. Aufklärung, sexuelle Selbstbestimmung und Reproduktionsrechte sorgen nämlich gerade nicht für steigende Abbruchraten. 

Ein weiteres positives Beispiel im europäischen Vergleich ist Spanien. Dort stimmte der Ministerrat kürzlich einem Gesetzentwurf zu, wonach die dreitägige „Bedenkzeit“ vor einer Abtreibung entfallen soll und 16- und 17-Jährige keine elterliche Zustimmung mehr benötigen, um eine Schwangerschaft zu beenden. Der Eingriff soll künftig kostenlos in Krankenhäusern der öffentlichen Gesundheitsversorgung möglich sein, verbunden mit dem Recht auf eine mehrtägige Krankschreibung. Zudem ist eine kostenfreie Ausgabe der Abtreibungspille sowie der „Pille danach“ in allen staatlichen Gesundheitszentren geplant.

So weit sind wir in Deutschland leider – trotz der Streichung des § 219a StGB – noch lange nicht. Doch warum sind viele Entscheidungsträger:innen noch immer der Ansicht,  es bestünde ein Rechtsanspruch auf schwangere Körper? Warum tut sich die Mehrheit der Politiker:innen so schwer damit, Abtreibungsverbote endlich als das zu verstehen, was sie sind: eine Verletzung von Menschenrechten? Vermutlich, weil längst veraltete Rollenbilder und geschlechtliche Hierarchisierungen noch immer so fest in unserer Gesellschaft verankert sind, dass davon ausgegangen wird, der Staat habe das Recht, über den weiblichen Körper zu entscheiden.  Denn auch wenn die Strafausnahmegründe des § 218a StGB den ungewollt Schwangeren unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einräumen, sich für einen Abbruch zu entscheiden, bleibt die grundsätzliche Rechtspflicht zur Austragung bestehen. Diese könne nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch nicht „im Rahmen der Normalsituation einer Schwangerschaft“ ausgesetzt werden, vielmehr „müssen Belastungen gegeben sein, die ein solches Maß an Aufopferung eigener Lebenswerte verlangen, dass dies von der Frau nicht erwartet werden kann“ (BVerfGE 88, 203 (257)).  Schwangerschaft wird also als „Normalzustand“ im Leben einer Frau angesehen und deshalb von ihr erwartet – ungeachtet der inneren Einstellung und der aktuellen Lebenssituation der Schwangeren.

Dem ist vehement zu widersprechen. Nein, es darf bei einer so fundamentalen Entscheidung nicht um gesellschaftliche Erwartungen gehen, sondern einzig und allein um die Entscheidung der Frau. Jede Frau hat das Recht, selbst über Reproduktion zu entscheiden und damit den weiteren Verlauf des eigenen Lebens zu bestimmen. Diese Entscheidung hat allein sie zu treffen, niemand sonst. Weder der Staat noch die Allgemeinheit hat ein wie auch immer geartetes Zugriffsrecht auf den Uterus, auch wenn sich Politik und Gesellschaft genau dieses noch immer herausnehmen. Die aktuelle Gesetzeslage ist daher dringend reformbedürftig. Einziges Ziel kann die Entkriminalisierung sein, denn mit der vollständigen Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen öffnen wir nicht etwa Abtreibungen Tür und Tor, sondern beenden die Entrechtung von Frauen und deren Körpern.

Vermutlich braucht es, wie schon für die Abschaffung von § 219a StGB, den unermüdlichen Einsatz vieler mutiger Frauen, die für ihre Rechte kämpfen, bis die Politik bereit ist, auch diesen – längst überfälligen und dringend notwendigen – Schritt hin zu einer Legalisierung von Abbrüchen zu gehen. Es wäre schön, wenn all das nicht nötig wäre. Und zuweilen stelle ich mir die Frage, was wäre, wenn nicht nur Frauen, sondern auch weiße, heterosexuelle Cis-Männer schwanger werden könnten. Gäbe es die §§ 218 ff. StGB dann heute noch? Hätte es sie überhaupt jemals gegeben? Sicher nicht. Wir erinnern uns an all die Straftatbestände, die uns heute absurd erscheinen, die aber gleichzeitig jahrelang Teil unseres Rechtssystems waren und Menschen lediglich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihres Geschlechts oder ihres Wunsches nach Freiheit und Selbstbestimmung kriminalisiert haben. So wurde das Gesetz, welches es Frauen untersagte, ohne die Erlaubnis ihrer Ehemänner arbeiten zu gehen, erst 1977 geändert. Noch knapp zwanzig Jahre länger dauerte es, bis am 11. Juni 1994 endlich auch die strafrechtliche Sondervorschrift zu Homosexualität abgeschafft wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde die staatliche Verfolgung von schwulen und bisexuellen Männern durch § 175 StGB insgesamt 123 Jahre lang legitimiert. Drei weitere Jahre mussten vergehen, bis auch die Vergewaltigung in der Ehe strafbar wurde. Mit dem 33. Strafrechtsänderungsgesetz wurde im Juli 1997 das Merkmal „außerehelich“ aus dem Tatbestand der Vergewaltigung, § 177 StGB, gestrichen. Seitdem wird auch die eheliche Vergewaltigung als Verbrechen angesehen und dementsprechend (zumindest in der Theorie) geahndet. All diese Vorschriften benachteiligten ausschließlich Frauen oder homo- bzw. bisexuelle Männer.

Womöglich wird auch der Kampf für die Legalisierung von Abtreibungen einen langen Atem brauchen. Doch es lohnt sich, zu kämpfen, und sich jeden Tag aufs Neue dafür einzusetzen, dass Schwangerschaftsabbrüche endlich als das angesehen werden, was sie sind: ein universell gültiger Rechtsanspruch Betroffener, Teil der körperlichen Selbstbestimmung der Frau, kurzum: ein Menschenrecht.

Simone de Beauvoir hat dies bereits 1949 erkannt. „Die Geburtenbeschränkung und die gesetzlich erlaubte Abtreibung würden es der Frau ermöglichen, ihre Mutterschaft frei zu wählen“, lautet ein Satz aus „Das andere Geschlecht“, dessen französischer Originaltitel „Le deuxième sexe“ insofern treffender ist, als er das Bewusstsein des Patriarchats verdeutlicht, wonach Frauen sekundär sind. Es ist an der Zeit, dieses Bewusstsein zu durchbrechen. Ein erster Schritt ist getan, doch viele weitere müssen folgen.

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